Wunderkinder - Eine hochkomplexe Herausforderung

Geschrieben von Lukas Schönsgibl am 23.08.2023

Das Internet ist überflutet von unglaublichen Beispielen höchster Präzision und musikalischem Ausdruck jener Kinder, die wir gesellschaftlich als Wunderkinder bezeichnen. Von dem jungen Wolfgang Amadeus Mozart bis hin zum 12-jährigen Andreas Varady, der in diesen Jahren improvisiert, als wäre er ein erfahrener Jazzgroßmeister, weist die Musikgeschichte eine Vielzahl an Beispielen auf. Im Folgenden möchte ich die multidimensionalen Herausforderungen der Förderung solcher Hochbegabten diskutieren.

Pädagogische Herausforderungen

Die Förderung musikalisch begabter Kinder und Jugendlicher ist eine herausfordernde Aufgabe, die einen multidimensionalen Ansatz erfordert. Es geht nicht nur darum, die musikalischen Fähigkeiten und Talente dieser jungen Menschen zu erkennen und zu fördern, sondern auch darum, ihre psychologischen Bedürfnisse zu berücksichtigen und eine Umgebung zu schaffen, in der sie sich sicher und unterstützt fühlen.

David Henry Feldman, Professor an der Tufts University, definiert Wunderkinder als jene Hochbegabten, die im Alter von 10 Jahren auf demselben musikalischen Niveau wie professionelle Musiker:innen spielen können. Dafür braucht es nicht nur genetische Voraussetzungen, sondern eine Mischung aus vielerlei Komponenten wie beispielsweise dem Drang zu komponieren, zu analysieren und sich gut fokussieren zu können, etc.[1]

Ein zentraler Aspekt der Unterstützung musikalisch begabter Kinder und Jugendlicher ist die Anerkennung ihrer Einzigartigkeit und die Berücksichtigung ihrer individuellen Bedürfnisse und Interessen. Wie die Forschung zeigt, ist die Entwicklung von Talenten ein hoch individueller Prozess, der von vielen Faktoren beeinflusst wird, darunter genetische und umweltbedingte Faktoren, Bildungsmaßnahmen und individuelle Unterschiede. Diese werden als Chance durch Gagné definiert und veranschaulichen, welch hochkomplexes Umfeld ständig auf uns als Personen, also auch auf die potenziellen Starmusiker:innen, einwirkt.[2]

Die Individualität jedes Menschen spielt sich auch hier wieder eine essentielle Rolle. So wird schnell klar, dass es auch hier einen maßgeschneiderten Lehr- und Übungsplan – der auch flexibel auf diese Faktoren eingehen kann – braucht. Es gilt, das Feuer – den intrinsischen Drang, dieses Verlangen, alles für diesen Traum von Seiten des Kindes – am Lodern zu halten.

Kinderrechte auch für Wunderkinder

Es ist ein hochsensibles Unterfangen und ein schmaler Grat zwischen Förderung und Überforderung.  Das Trio aus Eltern, Lehrkraft und Kind sollte stehts einen Weg bestreiten, der des Kindes würdig ist und deren Rechte stehts wahrt. Die Negativbeispiele von Druckausübung und Überforderung sind ebenso mannigfaltig, wie die Beispiele über Wunderkinder selbst. Die UN-Konvention über die Rechte des Kindes bietet einen soliden Orientierungsrahmen.

“In all actions concerning children, whether undertaken by public or private social welfare institutions, courts of law, administrative authorities or legislative bodies, the best interests of the child shall be a primary consideration.”[3]

Artikel 28 und 29, die das Recht des Kindes auf Bildung und die Ziele der Bildung betonen,[4][5] sind in diesem Zusammenhang genauso relevant wie Artikel 3. Sie unterstreichen die Notwendigkeit, Bildungsmöglichkeiten für alle Kinder unabhängig von ihren Fähigkeiten bereitzustellen und die Persönlichkeit, Talente und geistigen und körperlichen Fähigkeiten des Kindes in vollem Umfang zu entwickeln, sowie aber alle Tätigkeiten so anzuwenden, dass die Rechte der Kinder gewahrt bleiben.

Wie schon vorher angedeutet, ist ein ständiger Austausch und ein hohes Vertrauen zwischen Kind, Eltern und Lehrkraft Grundvoraussetzung. Jegliche Form der Hochbegabtenförderung muss einer ständigen Evaluation unterzogen werden. Es gilt sicherzustellen, dass diese Wunderkinder sich ebenfalls zu physisch und psychisch gesunden Erwachsenen entwickeln können. Negativbeispiele, wie aus der Popmusik von Michael Jackson oder in der Klassik von Pianisten Lang Lang, zeigen oft, wie hart das Leben für solche Kinder sein kann.

Im Bewusstsein, dass die Reise dieser speziellen Ausbildung auch jederzeit zu Ende sein kann, man also trotz aller Entbehrungen – auch für die Eltern (finanzielle Mittel, hoher zeitlicher Einsatz, Reisen, etc.) – kann ein gesundes Fördern möglich sein. Es wird also alles auf eine Karte gesetzt, die bestmöglichen Pädagog:innen gesucht, das Kind unterstützt, wo es nur geht, im Bewusstsein, dass es sich selbst irgendwann dafür entscheidet, einen ganz anderen Weg einschlagen zu wollen.

Resümee

Insgesamt zeigt diese Diskussion, dass die Unterstützung der musikalischen Entwicklung von Kindern, unabhängig von ihrer Begabung, eine komplexe und vielschichtige Aufgabe ist, die eine enge Zusammenarbeit zwischen Schüler:innen, Lehrkräften und Eltern erfordert. Es ist wichtig, die individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten jedes Kindes zu respektieren und zu fördern und gleichzeitig die Rechte und das Wohlbefinden des Kindes zu gewährleisten. Aus der Musikschulperspektive schmücken wir uns oft mit den Erfolgen an Wettbewerben, sollten aber nie aus dem Fokus verlieren, dass es sich hierbei um das Schicksal unserer Schützlinge geht. Dass immer Entbehrungen von solchen Kindern gemacht wurden. Basieren diese auf einem intrinsischen Drang, haben diese sich unseren Respekt und Anerkennung verdient. Es sind gerade jene Kinder, die auch uns Erwachsene inspirieren und hinsichtlich Disziplin und Fokus einiges lehren können.

So sind es diese jungen Musiker:innen, die uns daran erinnern, was es bedeutet, sich mit Leidenschaft und Hingabe einer Sache zu widmen. Sie sind ein lebendiges Beispiel dafür, dass das Musizieren nicht nur eine handwerkliche Fähigkeit, sondern eine essenzielle Zutat in unserem Leben ist. Diese gelebte Hingabe, gepaart mit dem vorhandenen Talent, ist eine Inspirationsquelle und eine Erinnerung daran, dass in jedem Kind ein unentdecktes individuelles Potenzial schlummert, das nur darauf wartet, entfesselt zu werden.


[1] DW Culture. "Why Wunderkinder are not miracles." YouTube video, 00:28:36. Posted 26.03.2023. https://www.youtube.com/watch?v=vZWUhXo2ohQ.

[2] Françoys Gagné, "A Differentiated Model of Giftedness and Talent (DMGT 2.0)," in Conceptions of Giftedness, ed. Robert J. Sternberg and Janet E. Davidson, 2nd ed. (Cambridge: Cambridge University Press, 2009), 57-80.

[3] United Nations. (1989). Convention on the Rights of the Child, Article 3, Paragraph 1.

[4] United Nations. (1989). Convention on the Rights of the Child, Article 28.

[5] United Nations. (1989). Convention on the Rights of the Child, Article 29.

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